Edith Stein Gesellschaft Österreich 

Ein Bericht von Sr. Maria Cordis - Oda Schneider OCD

Meine Begegnung mit Edith Stein

Ein persönliches Zeugnis zum Titelbild

Das Foto von Edith Stein auf der ersten Umschlagseite wurde 1931 in Wien aufgenommen, wohin sie gekommen war, um bei der Elisabethfeier einen Vortrag zu halten. Die Selige war damals 40 Jahre alt. Die heuer verstorbene Karmelitin Oda Schneider (Sr. Maria Cordis) erinnert sich an ihr damaliges Zu­sammentreffen mit Edith Stein. Wir danken dem Edith-Stein-Karmel in Tübingen für die Abdruckerlaub­nis dieses Berichtes.

„Gräfin Marschall, Präsidentin vom österreichischen Reichsverband Ka­tholischer Frauen, die den ersten Hochschulkurs für Laienkatechese an der Wiener Universität organisiert hatte, lud mich 1930 zu Exerzitien ein, die Pater Erich Przywara in der Nähe von Wien hielt. Da haben wir zum ersten Mal etwas von Edith Stein gehört. Die Exerzitien waren ganz auf den Kar­mel eingestellt. Es waren lauter Akademikerinnen da, niemand, der mit dem Karmel in Verbindung war, aber Pater Przywara hat karmelitanisch gesprochen. Er hat hauptsächlich die heilige Therese von Lisieux herangezo­gen und dann merkwürdigerweise Edith Stein, als lebendiger, noch junger Mensch, der in der Welt tätig war, und er hat sie uns schon hingestellt als eine fertige Heilige. Es war sehr merkwürdig. Edith Stein ist in den Karmel­ Rahmen gut hinein gekommen, weil sie ihre Bekehrung ja durch das Lesen des Lebens unserer heiligen Mutter Teresa erfahren hat. Also ist sie irgend­wie dem Karmel dadurch schon verbunden gewesen.

Pater Przywara hat in den Exerzitienvorträgen ihre Bekehrung, ihren Wer­degang, ihr Leben erzählt und hat sie wirklich als eine fertige Heilige hinge­stellt und damit als Vorbild. Er hat ihr hohes Wissen gerühmt, hat aber auch erzählt, daß sie bei den Dominikanerinnen in Speyer - es war gerade der Übergang von Speyer nach Münster -, den Schwestern abends die Küche aufgewaschen hat, damit sie zu einem Vortrag gehen konnten. Wahrschein­lich war sie nicht sehr geschickt, weil sie ja Hausarbeit nicht gewohnt war, aber aus lauter Liebe hat sie auch solche Dienste gern getan, und das hat Przywara sehr rühmend erwähnt. So haben wir damals Edith Stein kennen­gelernt.

Gräfin Marschall war auch bei diesen Exerzitien, und die Folge war, daß sie die Einladung Edith Steins zur Elisabethfeier im Jahre 1931 betrieben hat, damit sie dort einen Vortrag hält. Dadurch ist Edith Stein nach Wien gekommen, und ihr Vortrag war sehr schön. Ich kann mich noch gut erin­nern, aber nicht mehr an Einzelheiten.

Was ich noch erzählen will, ist über das Essen bei Gräfin Marschall. Das war auch für mich ein großes Erlebnis. Wir waren nur fünf Personen dort: Das Ehepaar Marschall, Pater Przywara, Edith Stein und ich. An die Ge­spräche kann ich mich nicht mehr erinnern. Aber noch an einen kleinen Zwischenfall. Es hatte sich nämlich herausgestellt, daß Edith Stein und Przywara kein Fleisch aßen und daß die Gräfin darüber verlegen war, denn sie hatte einen guten Rindsbraten aufgetischt. Aber Edith Stein hat nur die Makkaroni genommen, und die Gräfin hat sie aufgefordert, doch ein biß­chen Sauce drauf zu tun, aber das haben beide auch nicht tun wollen. Alles ging in einer sehr bescheidenen Weise vor sich, es hat nicht gestört, es ist nicht auffallend gewesen. Schließlich besteht das Reich Gottes nicht aus Es­sen und Trinken, sondern aus Freude im Heiligen Geist, und die ist tatsäch­lich da gewesen. Es war eine sehr schöne, angenehme, geistige Atmosphä­re, an die ich mich sehr gerne erinnere. An den Inhalt des Vortrags von Edith Stein kann ich mich nicht mehr erinnern, ich weiß nur, daß ich über ihr flie­ßendes, schönes Sprechen gestaunt habe. Es war alles sehr gehaltvoll und hat großen Widerhall gefunden. Es ist wirklich sehr schön gewesen.

Und dann war da noch mein Besuch in der Dietersgasse in der Villa von Pro­fessor Rudolf Allers, und zwar war es mir — soviel ich mich erinnere —, als ob wir beide, Edith Stein und ich, ganz allein in dieser Villa gewesen wä­ren. Das Ehepaar Allers war gerade nicht da. Edith Stein hat mich im Schreibzimmer von Professor Allers empfangen, und dort haben wir eine gute Stunde geplaudert. Ich weiß jetzt nicht mehr den Gegenstand, aber si­cher haben wir über die Frauenfrage, über die Kirche in der Zeit usw. ge­sprochen. Ich weiß nur das eine: Als ich weggegangen bin nach einer guten Stunde, habe ich das Gefühl gehabt, daß sie mir geistig weit voraus ist. Ich habe mich sehr unvollkommen gefühlt und den lebhaften Wunsch gehabt, auch einmal so ausgeglichen, so bescheiden und so klug zu werden wie sie. Edith Stein war liebenswürdig und auch lieb anzuschauen.  Sie hat offenbar nicht viel wert auf ihre Kleidung gelegt. Ich kann mich noch erinnern, daß Frau Professor Allers etwas an ihrer Kleidung auszusetzen hatte. Sie hat nämlich den Halsausschnitt vorn ein bißchen zu hoch, und das hat nicht sehr günstig gewirkt. Sie selber hat solche Sachen gar nicht beachtet. Dann habe ich auch noch einen schönen Brief von Edith Stein erhalten, vier Seiten lang, den ich leider nicht aufgehoben habe. Ich habe ihn lange Zeit gehabt, aber dann ist der Augenblick gekommen, wo man die Sachen wie­der weg getan hat. Jedenfalls bin ich immer in geistiger Verbindung mit Edith Stein geblieben.

 

aus: Christliche Innerlichkeit, Zweimonatszeitschrift für Gebet und gelebtes Christsein, Herausgegeben vom Teresianischen Karmel im deutschen Sprachraum, 22. Jahrgang: Jänner - Dezember 1987, 3. - 5. Heft: Mai - Oktober 1987, Sondernummer: EDITH STEIN - Teresia Benedicta a Cruce OCD, 156-159.